Sonntag, 15. September 2013

105. Der Ferienort Villa Gesell - 6


verdankt seine Existenz einem beharrlichen Utopisten

Aus : „Die Zeit“  1997      Nr. 6
siehe Beitrag  Nr. 77, Nr. 82,  Nr. 86, Nr. 94 und Nr. 99


.Fünf Jahre später sind die Pinien schon weithin sichtbar, die Zufahrt ist befestigt, ein neues Hotel steht am Meer, eine eigene Baumschule. 
Sogar das Fundament für eine künftige Grundschule existiert. Und das alte Haus der Familie ist nun bereits so dicht von Bäumen umstanden, dass die Lichtzeichen des Leuchtturms es kaum noch erreichen.

Erste Grundstücke werden billig an interessierte Siedler verkauft. Bald gibt es einen Krämerladen für die achtzig Pioniere, die hier in den Dünen ein neues Leben beginnen, ein Leben, das sich aus Werten wie Natur, Einfachheit, Nachbarschaftshilfe begründet. Als dann auch noch ein Lehrer ins Dorf kommt, den Carlos Gesell aus seiner eigenen Tasche bezahlt, ist die Zukunft der kleinen Siedlung gesichert.

Ab den fünfziger Jahren verkehrt ein Omnibus von der nahe gelegenen Eisenbahnstation nach Villa Gesell, wie die Stadt jetzt abgekürzt heißt. Ansonsten ist Don Carlos seinen Idealen treu geblieben: Im Ort herrscht Rauchverbot, Alkohol ist nur an Festtagen erlaubt, das Glücksspiel verboten. Die einzige Sucht, die der Gründervater sich gestattet, ist die Arbeitswut: Von sechs Uhr früh bis tief in die Nacht gibt er alles, tut er alles für seine Stadt.

Heute noch zeigt sich, dass Villa Gesell einmal in funktionelle Zonen unterteilt worden ist: Im Barrio Norte, wo die Villen im europäischen Stil wie nostalgische Reminiszenzen wirken, gibt es kaum ein Geschäft. Noch immer sind die meisten Läden entlang der Avenida 3 angesiedelt, der von Carlos Gesell geschaffenen Einkaufsstraße. Im pittoresken Stadtteil Pinar liegen Blumengärten und Parks, Tennisplätze und Kleinkunstbühnen.

Künstler kommen seit den sechziger Jahren nach Villa Gesell. Der weltberühmte Geiger Ljerko Spiller gibt Mondscheinkonzerte im Amphitheater, wo heute während der Saison Chöre aus ganz Argentinien singen. Die Photographin Matilde Böhm, die das Entstehen des Ortes dokumentiert, eröffnet einen eigenen Laden. Und Don Carlos beginnt im Winter ein kleines Kino zu betreiben, das nur aus ihm und seinem Projektor besteht. Er will lediglich instruktive Dokumentarfilme zeigen, ein ehrgeiziges Projekt, das gegen die kommerzielle Konkurrenz natürlich nicht lange bestehen kann.

Alles in allem jedoch kann Don Carlos zufrieden sein: Die Stadt hat Charakter. Das liberale Bürgertum weiß es zu schätzen; man gibt sich weltoffen, kulturfreundlich, sportbegeistert. Carlos Gesell, der Träumer und Erfinder, sieht sein Utopia entstehen. 

Voller Begeisterung entwirft er eine Mole, die heute noch weit hinaus in den Atlantik ragt. Gestützt von fünfzehn Meter hohen Betonträgern, streckt sie sich auf 150 Meter Länge ins offene Meer. Dort zu sitzen kann ein Erlebnis sein: Tief unten peitscht die Gischt gegen die Pfeiler, während weit draußen die Sonne im Meer aufgeht - und die Angler bei einem starken Kaffee von ihrem letzten großen Fang schwärmen. Einmal einen Schnapperfisch zu fangen, das ist der Traum eines jeden……

Fortsetzung und Ende folgt



erste Grundschule



                                                                                                                                                                                       
die Mole

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